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Sanfte Sanierung
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Wie eine sanfte Sanierung ausgeführt werden kann, zeigt beispielhaft das Architektenpaar Tabea Voigt und Johannes Florin mit ihrem alten Bauernhaus in Putz. Zugeständnisse an die Moderne gemacht wurden an Küche, Sanitärbereich und Technik.
Harmonisch präsentiert sich die Häusergruppe in Unterputz in der Gemeinde Luzein im Prättigau. Südseitig sind die Holzfassaden der homogenen Dreiergruppe von der Sonneneinstrahlung dunkelbraun gebrannt und an den Kellermauern ranken sich Tomatenstauden und Kapuzinerblüten empor. Birn- und Apfelbäume, knorrig vom Alter, stehen auf dem flachen Wiesenstück davor und darauf grasen, leise bimmelnd ein paar Kühe.
Warum ein altes Haus?
Warum in der kleinen Fraktion Putz ein altes Haus sanieren, sich mit den unvorhersehbaren Schwierigkeiten befassen, die ein jahrelang unbewohntes Haus beim Umbau mit sich bringen? Architekten planen meist neue Häuser und legen dabei grossen Wert auf Perfektionismus. Im Haus von Tabea Voigt und Johannes Florin ist davon wenig zu sehen, vielmehr hat man das Gefühl, in eine vergangene Zeit einzutreten. Während des Gesprächs sitzen beide am grossen alten Küchentisch, knacken von der Herrschaft mitgebrachte Baumnüsse und trinken ein Gläschen selbstgekelterten Blauburgunder aus dem eigenen Wingert in Maienfeld.
„Wir beschäftigen uns beruflich meist mit alten Häusern und mit Dörfern“, erklärt Johannes, der auch als Berater der kantonalen Denkmalpflege Graubünden tätig ist und Tabea ergänzt, „Im Dorfzentrum kommt alles zusammen, wir wohnen und arbeiten auch in der Herrschaft mitten im Ortskern, das ist spannend und vielschichtig“. Beide waren sich beim Kauf des Hauses einig, dass sie am Gebäude nur das heute Allernotwendigste, wie einfache Sanitäranlage, Küche und Heizsystem einbauen und dabei so wenig wie möglich vom Ursprung zerstören möchten.
Wegen der Qualität und Gemeinschaft
Als sie im Jahr 2008 das Haus übernahmen, war es jahrelang unbewohnt, verdreckt und in desolatem Zustand, das Inventar von Mäusen zerfressen und verschissen und alles obendrein durch Russ und Fett bis in den Dachstock brandschwarz verfärbt. Die Qualität des Hauses, seine Atmosphäre und vielmehr auch die homogene Häusergruppe von Unterputz und deren freundliche Bewohner hatten es ihnen jedoch angetan.
So oft wie möglich arbeitete das Paar fortan in seinem Haus in Putz, war während des Winters mit dem Ausräumen des Inventars beschäftigt. Modrige Kleider und Matratzen, zerfressene Holzteile, Gerätschaften und Möbel, völlig verfaulte Holzböden und Wandtäfer im hinteren Bereich mussten entsorgt werden.
Das schwierigste und langwierigste Unterfangen war laut Johannes die Sanierung und anschliessende Austrocknung der bergseitigen Natursteinmauer im Erdreich, die durch eindringendes Wasser enormen Schaden genommen hatte. Aber sie hätten sich drei Jahre Zeit gelassen für den ganzen Bau. Klar sei für ihn gewesen, dass der gemauerte, rückseitige Hausteil eine enorme Kälte ausstrahlt. Aus diesem Grund wurde ein Heizregister direkt in die Mauer und den betonierten und mit einer guten Wärmedämmung versehenen Küchenfussboden eingelegt. Heute, sagt Johannes, könnten sie, dank der grossen Speichermasse, nach der Ankunft in Putz schon vor dem Einfeuern, mit einem Pullover auch bei 12 Grad in der Küche sitzen und würden trotzdem nicht frieren.
Fluchtort vor der Hektik
Für das Paar mit eigenem Architekturbüro in Maienfeld ist das Haus in Putz ein Fluchtort vor der Hektik des Alltags, ein Ort für ruhiges Arbeiten und ein oft genutztes Gästehaus für ihre Freunde und die grosse Verwandtschaft. So oft sie können, verbringen sie die Zeit hier, treffen sich zum regelmässigen Hengert mit den Bewohnern von Putz, dörren Früchte von den umliegenden Bäumen, machen Konfitüre und kochen die eigenen Tomaten ein.
Beim Rundgang durchs Haus fallen die prachtvollen Herrschäftler Baumnüsse auf, die auf einem weissen Laken, ausgebreitet auf dem Fussboden vom Schlafzimmer, prima vor sich hin trocknen. Das ganze Haus ist nicht wie von einem Architektenpaar erwartet, mit modernen Möbeln eingerichtet. Puristisch, einfach, ohne Schnörkel und Schnickschnack stehen die Räume für das, was sie mal waren, verbreiten aber eine warme Atmosphäre. Telefon, Internet oder TV-Anschluss sucht man vergebens – Johannes lässt sogar meist sein Handy im Auto. Die alten Möbel sind grösstenteils im Haus geblieben, werden wieder verwendet. Einzig die alten Betten warten noch in Nachbars Stall auf ihren Einsatz und auf den Holzbänken in den beiden Stuben darf man sich auf ein weiches Kissen setzen. WC-Schüssel, Badewanne und Lavabo sowie der Holzherd in der Küche stammen aus Abbruch-Objekten.
Geheizt wird mit Holz und Sonne
Es ist Herbst und kühler geworden. Während Johannes den Bauverlauf erläutert, heizt Tabea den Stubenofen ein, einen von zweien. Den, der mit Heizregistern versehen, gemeinsam mit der Solaranlage auf dem Hausdach, die zwei grossen Speicher im Keller aufwärmt und mittels Registern in Fussboden und Wänden in Küche und Bad für ein angenehmes Raumklima sorgt. Dieser Ofen musste aus Brandschutzgründen abgebrochen und neu aufgebaut werden.
Johannes erzählt, dass sie sich nach der Räumung und der Aufnahme der Baukonstruktion vorwiegend um die Bauleitung und die Reinigung der ausgebauten Böden und Täfer gekümmert hätten. Sämtliche Facharbeiten haben die beiden an ihnen für gute Arbeitsqualität bekannte, hiesige Unternehmen vergeben. Die Fenster, so bestätigt ein Augenschein, wurden nur repariert wo nötig, ansonsten belassen, in Einfachverglasung mit dem hübschen kleinen Schieberchen. Einzig in Bad und Küche setzten sie innen neue Vorfenster mit Isolierverglasung ein. „Und der Kalk ist sozusagen selbstgebrannt“, ergänzt Johannes. Er war 2008 als Berater an einem Kalkbrand in Sent mit dabei und konnte später den nicht vor Ort benötigten Teil des Materials übernehmen. Mit diesem Kalk wurden sämtliche Mauerteile innen wie aussen verputzt und danach geglättet. Nach dem Ausbau der Böden und Täfer wurden Wände und Decken mit Windpapier abgedichtet, mit einer Wärmedämmung versehen und die alten, aber jetzt gereinigten Dielenbretter und Täfer wieder eingebaut. Trotzdem kühlen die oberen Schlafzimmer bei starken Minustemperaturen aus. „Sind wir ein paar Tage im Winter nicht hier, so kann die Temperatur auf 5 bis 6 Grad fallen“, sagt Johannes. Lachend meint Tabea, „Abhilfe schaffen aber unsere vielen Chriesimänndli“.
Auf ihre Wünsche angesprochen, meinen beide: „wir möchten hier so lange wie möglich das Leben geniessen können, gemeinsam mit den Nachbarn, mit Gästen, mit Freude uns einsetzen für die Restaurierung der Burg Castels, als Heimstatt der aktiven Fraktionsgemeinschaft.“
Fakten
Das Haus hat nach Einschätzung von Johannes seine heutige Grösse wohl Mitte des 17. Jahrhunderts erhalten, ist als grosses Einzelhaus mit zwei Stuben erbaut und später zu einem Doppelhaus umfunktioniert worden. Charakteristisch für Unterputz, aber unüblich für die Gegend ist die Bauweise: Der bergseitige Teil samt durchgehendem Korridor und zwei Hauseingängen ist bis unters Dach gemauert, beinhaltete früher Küche und überwölbte Spensa bzw. zwei Küchen, heute Küche und Badezimmer im Erdgeschoss und oben einen ehemaligen Vorratsraum und zwei kleinere Zimmer. Der vordere Teil, komplett gestrickt besteht aus zwei Stuben mit den darüber liegenden grossen Schlafzimmern. Die ursprünglich barocke Ausstattung ist leider bei einem Umbau 1913 bis auf wenige Reste durch den Kamin entschwunden.
Archäologische Untersuchungen am Haus und dem Nachbargebäude, haben ergeben, dass beide Häuser auf Grundmauern abgebrannter Häuser aus dem 15. – 16. Jh. wieder errichtet worden sind.
Die Häuser in nächster Nachbarschaft sind ähnlicher Bauweise, wurden aber teils schon als Doppelhäuser erstellt und sind etwas älter. Erbaut wurden sie nach den Brandschatzungen von 1622 in den Jahren um 1627 – 1647.
Erschienen in Cubatura 1/2015